(Biengen, im Mai des Jahres 2020)Als ich erbaut wurde, war ich stabil genug, um zwei Zugbrücken zu halten. Als 2015 hinter mir ein Wasserrohr platzte, drückte das Erdreich heftig und ich war froh, dass das bald repariert wurde. Doch weil ich schief stand (was schon Jahre so war) traute so mancher meiner Stabilität nicht mehr und so wurde ich beobachtet. Große Gipsmarker zierten auf einmal mein Aussehen. Doch ich zeigte, was ich kann. Ein Jahr lang wurde kein Riss sichtbar.
Trotzdem beschloss man, nach der Winterpause 2016, mich sicherheitshalber zu renovieren. Doch es kam alles ganz anders.
Im Frühjahr 2017 sollten nämlich in der Straße zu meinen Füßen die Rohre erneuert werden. Mein schiefes Aussehen missfiel jedoch immer noch und so wurden von der großen Stadt der Herr für den Untergrund und die Kammer, die dafür zuständig ist mich und meinesgleichen zu schützen, informiert. Es kamen wichtige Männer, die mich begutachteten. Und es ergab sich, dass beschlossen wurde: Ich sei instabil.
Bevor es möglich war zu berichten, dass ich mich seit 2015 um kein Stück bewegt hatte, und dass es ja geplant war mich wieder in Form zu bringen, wurden mir riesige Klötze, wohl einem Spielzeug der heutigen Epoche gleich, vor die Nase gesetzt, so dass es nicht mehr möglich war die gesamte Straße zu meinen Füßen zu nutzen. Mein Herr konnte sein Schloss nur noch über rutschige Wiesen erlangen.
Gleichzeitig wurde überlegt, wie ich aussehen sollte und was man tun müsste, damit ich stabil bliebe. (Ich überlegte schon, ob man wieder Zugbrücken anbringen wollte, mit der nicht jeder ungehindert den Hof hinter mir nutzen könnte.) Einige bestätigten, dass ich dick genug sei und nur meine Fugen gereinigt und ein paar wieder erneuert werden müssten. Andere wieder entwarfen andere Lösungen. Mittlerweile schrieben wir nun schon das Jahr 2018. Die Lösungen wurden der Kammer unterbreitet. Doch die Kammer hielt nichts von den Lösungen. Ich war ihr wohl wichtiger als eine andere Mauer weiter unten in der Straße, wo einer der Vorschläge
umgesetzt wurde. Ich sollte schöner bleiben, ohne sichtbare Wunden. So man folgte den Anweisungen der Kammer und bat weitere Leute um Ideen und Lösungen. Das kostete Zeit. Und schon bald schrieben wir das Jahr 2019. (Übrigens: Ich hatte mich immer noch nicht bewegt!)
Nun ergab es sich endlich, dass die Kammer von einer Lösung überzeugt werden konnte und gab Stempel und Siegel am 28.10.2019. Leider stand jedoch nun der Frost ins Haus, der mir richtig schaden hätte können. Denn man plante Wasser in das Erdreich hinter mir zu pumpen, um die Arbeiten durchzuführen. Also durfte ich bis zum Frühjahr noch so stehen bleiben, wie ich war. Als jedoch die Sonne stärker wurde, wurde ich bearbeitet. Die Fugen wurden gereinigt und erneuert, dicke Stützen in meinen Leib gestoßen und flüssiger Stein in die Erde hinter mir geschossen. Im April 2020 kehrte auf der Fläche um mich herum wieder Ruhe ein.
Stolz stehe ich seit dem, immer noch schräg und immer noch ohne mich bewegt zu haben. Warum das Ganze: Fragen Sie nicht mich, ich kenne die Antwort nicht.